Am Freitag, den 13. August 2021, fand in Madrid in den Abendstunden eine Demonstration mit über 2000 Menschen statt. Bei dieser Demonstration bildeten sieben Zapatistas auf einem rollenden Schiffsmodell den zentralen, etwas karnevalesk wirkenden Bezugspunkt. Nicht erkennbar war, dass das Schiff einem erfolgreichen Stadtteilkampf gegen die Gentrifizierung im Herzen Madrids entstammt.
Die Zapatistas sind eine vor allem indigene Autonomiebewegung im Süden Mexikos, die sich nach dem mexikanischen Revolutionsgeneral Emiliano Zapata benannt haben. Ihre Autonomie besteht in einer umfassenden Selbstverwaltung und -versorgung bis hin zu einem eigenen Bildungs- und Gesundheitssystem.
An jenem Freitagabend jährte sich das blutige Massaker in Tenochtitlán, bei dem spanische Kolonialisten unter Hernán Cortés über 80.000 Aztek:innen ermordeten, zum 500. Mal. Das Vorhaben der Zapatistas bestand darin, der Spanischen Krone und den europäischen Herrschenden mitzuteilen: „Ihr habt uns nicht erobert! Seit 500 Jahren leisten wir Widerstand gegen euren Kolonialismus – und wir werden dies auch weiterhin tun.“
In einer Zeit, in der damit begonnen wurde, Kolonialdenkmäler zu stürzen, ist dies wohl der stärkste Ausdruck einer von (Neo-) Kolonialismus betroffenen Bewegung, ihre Fesseln abzustreifen und sich selbst zu ermächtigen.
In diesem Moment liegt so viel Würde, die kein Gold oder Geld der Welt je kaufen könnte.
Die Zapatistas lehnen aber nicht nur die Ausbeutung und Naturzerstörung des Kolonialismus und Kapitalismus ab. Sie wenden sich auch gegen rassistische Ausgrenzung und gegen patriarchale Unterdrückung.
Das zeigt allein schon die Zusammensetzung der siebenköpfigen Delegation der Zapatistas:
Anfang Mai wurden vier Frauen, eine nicht-binäre Person („unoa Otroa“) sowie zwei Männer auf der Isla de Mujeres von einer indigenen Organisation, dem mexikanischen Indigena-Kongress (CNI) verabschiedet.
Auf der umgekehrten Route des Kolonialismus
Die „Delegation 421“ segelte rund sieben Wochen auf der umgekehrten Route des Kolonialismus nach Spanien. Sie legte genau dort an, wo über 500 Jahre zuvor das erste Schiff von Christoph Kolumbus‘ Raubzug aus der „Neuen Welt“ zurückkehrte. Ein Banner an dem Schiff, das die Zapatistas „La Montaña“ nennen, forderte: „Despertad!“ – „Aufgewacht!“
Als das Schiff am 22. Juni im westspanischen Vigo anlegte, betrat die nicht-binäre Person namens Marijrosé als erste:r Zapatista europäisches Festland. Marijosé hielt eine kurze Rede und taufte dieses Land „Slumil K‘ajxemk‘op“ oder „Tierra Insumisa“ -„Widerständiges Land“.
Mehr Symbolik geht nicht! Die Zapatistas machen deutlich, dass Menschen die Geschichte schreiben. Das, was in den Geschichtsbüchern steht, ist nur die Version der Herrschenden und vermeintlichen Sieger. Die Indígenas sind nie besiegt worden. Sie leisten seit 500 Jahren Widerstand. Und nun haben sich welche von ihnen nach „Europa“ aufgemacht, um sich in Erinnerung zu rufen. Sie wollen die Menschen hier wach rütteln. Und dies tun sie, indem sie die Bewegungen „von unten und links“ in Europa aufsuchen, nachdem diese ihnen ihre Einladung aussprachen. Sie wollen diese Bewegungen und Menschen kennenlernen und zuhören und haben damit schon angefangen. Es gab bereits Treffen in mehreren Städten Spaniens und in Frankreich mit den Sans Papiers und mit FLINTA*~Personen aus ganz Europa. (FLINTA = Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-Binäre, Transsexuelle und A-Gender)
Vielleicht schaffen sie es ja, den Bewegungen, Kollektiven, Initiativen, Gruppen und Organisationen hier neues Leben einzuhauchen auf ihrer „Reise für das Leben“. Vielleicht versetzen sie die Menschen hier in die Lage, wie sie „das Gemeinsame“ finden zu wollen und nicht „das Trennende“ nach vorne zu stellen.
Weiterer Delegation wird die Einreise verwehrt
Noch immer wartet der Großteil der indigenen Delegation, rund 160 Zapatistas, zehn Delegierte des CNI und drei Delegierte einer weiteren Indigena-Organisation, auf ihre Einreise nach Europa. Angeblich ist diese aufgrund der Pandemie rechtlich nicht möglich. Die Begründungen sind unterschiedlich: mal ist es der in der EU nicht zugelassene Impfstoff, dann wieder der nicht vorhandene Grund, die Delegation vorzugsweise einreisen zu lassen.
Doch die Bewegungen hier sagen gemeinsam mit den Zapatistas: „Die ‘Reise für das Leben‘ ist systemrelevant. Für eine Welt, in die viele Welten passen und in der die Menschen ohne Angst leben können.“
Aktivitäten nicht nur in Madrid
Der Congreso Nacionál Indígena (CNI) rief zeitgleich zur Demonstration in Madrid, mit der auch 500 Jahre indigener Widerstand gegen Kolonialismus und Unterdrückung gefeiert wurde, zu einem dezentralen Aktionstag „für den Widerstand“ auf. So gab es zeitgleich u.a. in Kopenhagen, Hamburg, Berlin, Münster, Düsseldorf, im Rheinland, in Thüringen, Brüssel, Frankfurt, Wien, Basel sowie in Paris zahlreiche Aktivitäten in Solidarität mit den antikolonialen und antipatriarchalen Kämpfen. Auch beim „Zentralstreik“ der Klimagerechtigkeitsbewegung auf Initiative von „Fridays For Future“ in Frankfurt, wo rund 15.000 Menschen auf der Straße waren, aber auch bei einer prokurdischen Demonstration in Düsseldorf gab es Redebeiträge und Solidaritätsbekundungen für die Zapatistas. Ihre „Reise für das Leben“ ist längst in den Herzen und Köpfen der Menschen in „Slumil K’ajxemk‘op“ angekommen.